Die Flüchtlingsexistenz steckt verborgen in uns allen

Ein Textauszug aus der Predigt von Martin Gaevert, Gemeindepfarrer Kreuzau

Wir teilen sie alle, selbst wenn wir heute reich sind und seit Generationen am selben Platz wohnen. Das Bauen der Laubhütte soll den Gläubigen auch daran erinnern, dass sich der Mensch auf Materielles in der Welt nicht verlassen kann und es jederzeit verloren gehen kann.

Es ist genau diese Empfindung, die auch unser Kunstwerk ausdrückt: Es erinnert uns an diese von allen Menschen geteilte existentielle Grundbedingung unseres Daseins, bringt sie zum Vorschein macht sie erlebbar.

Ich empfinde die Fotos auf Sand wie das Gegenteil von den Fotos in der Zeitschrift: Schöner Wohnen!

Dort sieht man auf Hochglanzfotos, Menschen auf Designersofas sitzen, sicher, geschützt, umgeben von Reichtümern, die sie ganz, ganz weit weg zu rücken scheinen von der Brüchigkeit unserer Existenz.

Diese Sandbilder aber bringen uns die Brüchigkeit unserer Existenz ganz nah. Sie tragen keine schützende  Lackschicht, sondern jede Berührung wird auf ihnen sofort sichtbar. Schon damit bringen sie viel von uns zum Ausdruck, eine freundliche Berührung zaubert ein flüchtiges Lächeln auf unser Gesicht, harte und unfreundliche Begegnungen hinterlassen Narben.

Ja die Sandbilder tragen den Zerfall schon sichtbar in sich, schon bei der Entstehung war der Staub überall, in unseren Kleidern, unter unseren Fußsohlen, es erinnert auf die unterschiedlichste Weise an der Staub der in vielen Fluchtgeschichten vorkommt: An den Staub der in zerstörten oder zerbombten Häusern in der Luft liegt, an die Zerstörung vor denen die Flüchtlinge geflohen sind. An den Staub auf den Fluchtwegen, der überall an den Menschen klebt, an den Sand der Sahara, durch den so viele aus den Ländern in der Äquatorialafrikas fliehen.
Aber auch ich als Kind der Wohlstandsgeneration trage in meinem Inneren eine Flüchtlingsexistenz, an die ich mich erinnern kann: Wie viel in meinem Leben fange ich an und kann es nicht zu Ende führen? Viel aufgewirbelter Staub, aber am Ende blieb nichts davon.

Wieviel Menschen lerne ich wie auf einer Reise kennen und verliere sie doch wieder aus den Augen, wieviel Wissen habe ich in Schule, Studium durch Lesen gelernt und doch wieder vergessen, weil auf meinem Weg wieder Neues, anderes wichtig wurde und was alles habe ich mir schon gekauft und ist durch meine Hände gegangen und ich habe es wieder verloren, wie sehr habe ich mich über manches gefreut, was mir heute schon nicht mehr im Gedächtnis ist und selbst die Urlaubsreisen kann ich nur mühsam auseinander halten. Flüchtig ist fast alles was ich tue und mache. Nichts hat Bestand, alles rinnt mir wie Sand durch die Hände.

Was habe ich denn, dass ich mit Händen und Füßen zu verteidigen hätte, warum klammere ich mich so fest an das was ich gerade besitze und habe, wenn es doch schon bald von selbst seine Bedeutung für mich verliert?

Das Leben ist nicht planbar! Ist nicht fest, starr, fixiert!

Jesus selbst hat  nicht als planender Herrscher gelebt, sondern als Mensch, der seinem Nächsten dient, sich auf Begegnungen einlässt, sich Zeit lässt, um zu zuhören, zu sehen, sich kennen zu lernen. Nur so kommt er uns nah! Unsere Wirtschafts-, ja Lebenspläne sind meist doch nur der Versuch ganz, ganz weit weg zu rücken von der Brüchigkeit unserer Existenz. weit weg von den Wechselfällen des Lebens. Dabei geschieht, wovor Jesus uns warnt: Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren, wer sein Leben verliert um Meinetwillen der wird es gewinnen.

In der Improvisation des Lebens im Sinne Jesu, geben wir unserer Pläne auf  und lassen uns stattdessen auf fremde Menschen ein, versuchen etwas Neues im Miteinander.

Schon Abrahams Gastfreundschaft ist Improvisation, ist der Versuch spontan fremde Menschen willkommen zu heißen, ihnen mit Gutem zu begegnen.

Jede Gastfreundschaft ist Improvisation, reagiert auf etwas Unvorhergesehenes! Und erinnert uns an unsere eigene flüchtige Existenz. Amen